Verkehrswende – ein Begriff, den Politiker im Zusammenhang mit Klimawandel und Tourismus gern und häufig benutzen. Doch wie stark sind die Bemühungen in unserer Region tatsächlich? Ich habe nachgefragt: bei Kommune, Landkreis, Land und Bund. Natürlich auch bei der Deutschen Bahn. Befriedigende Antworten blieben aus.
Garmisch-Partenkirchen — Nicht alle Probleme des Massentourismus lassen sich durch die Verkehrswende lösen, doch klar: Würden viel weniger Gäste mit dem Auto anreisen, wäre das eine erhebliche Verbesserung für Mensch und Natur.
Eine kleine, nicht fest organisierte Gruppe kämpft seit Jahren für weniger Auto und mehr Fahrrad im Kreisort: Die Radlinitiative Garmisch-Partenkirchen. Jeden Monat veranstalten ihre Mitglieder Radldemos, jährlich eine große Demonstration in der Region. In diesem Jahr haben sie sich für eine Demo-Tour durch mehrere Gemeinden entschieden. Denn das Problem ist nicht in Kommunen zu denken, es betrifft die ganze Region. Die Initiative „Ausbremst is!“ wurde ins Leben gerufen. Zusammen mit Verbündeten vor Ort.
Corona hat die Lage verschärft
Man kann sagen, genau zur rechten Zeit. Denn durch den stark propagierten „Urlaub dahoam“, an den sich viele Deutsche vorbildlich halten, hat der Reise- und Ausflugsverkehr innerhalb des Landes drastisch zugenommen. Besonders viele Tagesausflügler wollen es sich momentan in den heimatnahen Bergen und an den Seen gut gehen lassen. Das Problem hat sich durch Corona zugespitzt. Auch, wenn man sich im letzten Sommer kaum hätte vorstellen können, dass das noch möglich ist.
Und die Anwohner haben die Nase voll. Bei der ersten Demonstration in Wallgau waren etwa 200 Teilnehmer dabei, in Grainau waren es rund 500. Sicherlich noch eine überschaubare Zahl – dennoch ein nicht zu überhörender Ausruf bürgerlichen Unmuts, freundlich ausgedrückt. Fernsehen, Radio und Zeitungen berichten landesweit. Die Aufmerksamkeit ist groß.
„Das Problem ist sehr komplex.“
Die Organisatoren der Demos haben konkrete Forderungen: Sie wollen mehr Bahn- und Busverbindungen und ein günstiges Ticketmodell, ähnlich der 365 Euro-Jahreskarte in Österreich. Sie wünschen sich Fuß- und Fahrradwege, die in einem nahtlosen Netz miteinander verbunden sind. Sie fordern, dass innovative Konzepte erarbeitet werden, wie ein klimafreundlicher Shuttle-Service oder Carsharing. „Die Demos sollen darauf aufmerksam machen, dass etwas passieren muss, eine Diskussion anregen. Die Lösungen muss die Politik finden“, erklärt Karina Winkler. Die junge Frau engagiert sich seit etwa zwei Jahren bei der Radlinitiative. Sie selbst räumt ein: „Das Problem ist sehr komplex.“
Herausforderung in schwierigen Zeiten
Die Einleitung der Verkehrswende ist eine der anspruchsvollsten Aufgaben der Politik. Es geht darum, den Verkehr auf nachhaltige Energieträger umzustellen – zu Gunsten von Mensch und Umwelt. Nach wie vor wird von den meisten Pendlern und Touristen das Auto bevorzugt, denn die Infrastruktur ist darauf ausgerichtet. Viel zu lange wurde hier nicht genug getan. Die Folgen dieses Versäumnisses sind besonders während der Coronakrise nicht mehr zu ignorieren. Gerade dann, wenn die finanziellen Mittel wegen der wirtschaftlichen Folgen knapp sind. Doch man muss sich dem Problem stellen. Was tut die Politik für eine nachhaltige Verkehrswende?
Priorität liegt nach wie vor auf der Straße
Ein konkretes Beispiel dafür, dass der Bund den Kurs nicht grundlegend ändert, ist die Verkehrsverbindung zwischen dem Ballungsraum München und dem Naherholungsgebiet Garmisch-Partenkirchen. Die Reaktion auf Stau und Verkehrschaos lässt nicht auf ein Umdenken schließen. Die Priorität liegt nach wie vor auf der Straße: Rund 264 Millionen Euro investiert der Bund in die östliche Ortsumfahrung Garmisch-Partenkirchen. Mehrere Hundert Millionen werden noch für die westliche folgen.
Die Umfahrungen bieten für die Anwohner von Garmisch-Partenkirchen eine große Erleichterung. Doch kann das die Lösung des Problems sein? Die Parkplätze bleiben überfüllt, der Durchgangsverkehr verlagert sich, CO2-Emissionen werden nicht reduziert.
Mit dem Auto fahren ist praktischer
Die Bahnverbindung zwischen Weilheim und Garmisch-Partenkirchen ist währenddessen nach wie vor eingleisig. Solange das so ist, können Züge nicht regelmäßig halbstündlich fahren. Es kommt ständig zu Verzögerungen, denn verspätet sich ein Zug, bedeutet das Warten für den Gegenverkehr. Stundentakt und Unzuverlässigkeit machen das Zugfahren nicht attraktiver. Dazu kommt das unübersichtliche Tarifsystem: MVV, Regionalzug, Gemeindebus. Drei Tickets für eine Fahrt. Selbst wenn es nicht immer viel günstiger ist, mit dem Auto zu fahren – in jedem Fall ist es praktischer.
Zuständigkeiten werden abgeschoben
Auf unsere Anfrage, ob der Bund das Schienennetz der Werdenfels Bahn ausbauen will, verweist das Bundesverkehrsministerium auf das Land. Für den Schienennahverkehr sei nicht der Bund zuständig. Tatsache aber ist: für die Gleise schon. Doch im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist die Verbindung München–Garmisch-Partenkirchen nicht als vordringlicher Bedarf aufgenommen. Bislang ist nicht ersichtlich, ob Investitionen geplant sind. Für sich alleine spricht, dass der Bund wieder zulässt, dass Grundstücke in Gleisnähe verkauft werden, wie Landrat Anton Speer berichtet. Vor drei Jahren war das bereits der Fall. Erst nach Ansuchen bei der Bundeskanzlerin wurden die Veräußerungen eingestellt – offenbar nur vorübergehend.
Bahnhalt Kainzenbad: Warten bis 2026
Das Schienennetz und seine Infrastruktur ist Sache des Bundes, während für das Angebot des Schienennahverkehrs, sprich den Betrieb der Regionalzüge und S-Bahnen, das Land zuständig ist.
2026 wird die Werdenfelser Bahnstrecke erneut ausgeschrieben. Bis dahin müssen wir auf Lösungen warten, wahrscheinlich noch viel länger. Seit Jahren bemühen sich Kommune und Landkreis, den Bahnhalt Kainzenbad in Garmisch-Partenkirchen wieder zu aktivieren. Ein wichtiger strategischer Punkt für den Ausflugsverkehr, nahe der Sprungschanze, ideal auch für einen Besuch der Partnachklamm. Während der Vierschanzentournee wird das Kainzenbad mit Sonderzügen angefahren.
Die zuständige Bayerische Eisenbahngesellschaft teilt mit, es sei nicht möglich, die Züge dort im regulären Fahrplan halten zu lassen. Aus fahrplantechnischen Gründen, zurückzuführen auch auf die eingleisige Strecke. Man prüfe jedoch die Vorraussetzungen durch eine Machbarkeitsstudie und werde dies im neuen Verkehrskonzept Werdenfels 2026+ berücksichtigen. Dieser Plan wird frühestens 2025 in Betrieb gehen.
Keine konkreten Aussagen vom Land
Das Bayerische Verkehrsministerium betont zuerst, dass der Bund für die Schienen zuständig ist. Dann weist es darauf hin, dass die Zugtaktung bereits erheblich verbessert worden sei. Früher im Stundentakt, fährt der Zug zwischen München und Weilheim nun halbstündlich. Nach Garmisch-Partenkirchen gibt es nach wie vor nur einstündig Züge, doch zu Hauptverkehrszeiten werde die Strecke verstärkt.
Im neuen Schienennahverkehrsplan sei nach derzeitigem Entwurf ein halbstündliches Angebot für bestimmte Strecken geplant. Es gibt zwei Voraussetzungen: Der Bund muss die Schienen ausbauen und die Strecke muss mindestens 5.000 Fahrgäste durchschnittlich am Tag vorweisen. Beides liegt bei uns nicht vor. Aktuell fahren zwischen Murnau und Garmisch-Partenkirchen im Durchschnitt täglich 4.000 Gäste. Der Bund plant offensichtlich keine Investitionen. Damit zählt die Strecke nicht dazu.
So schleppt sich der Lösungsprozess dahin wie der Verkehr zu unseren beliebten Ausflugszielen. Mit dem Unterschied: Den Eibsee erreicht man mit viel Geduld irgendwann.
Rentabilität als oberstes Kriterium
Es ist natürlich nicht so, dass gar nichts passiert. Der Landkreis nimmt zum Beispiel an der Studie „MVV-Verbunderweiterung“ teil. Richtig, wieder eine Studie. Es soll geprüft werden, ob München mit einigen anliegenden Landkreisen durch ein gemeinsames Netz verbunden werden kann. Das würde bedeuten, dass Fahrpläne besser aufeinander abgestimmt sind. Für U-Bahn, S-Bahn, Regionalbahnen und Busse gäbe es ein gemeinsames Ticket. Ein großer Vorteil für die Fahrgäste. Die Studie kostet unseren Landkreis 800.000 Euro, zu 90 Prozent vom Land gefördert. 2022 werden erste Ergebnisse der Fahrgastzählungen vorliegen.
Der wichtigste Aspekt dieser Studie ist die Rentabilität. Denn bei einem günstigen Ticketsystem müssen Mindereinnahmen ausgeglichen werden. Sollte es sich für unseren Landkreis finanziell nicht rechnen, dem MVV beizutreten, haben wir zwei Jahre Zeit und viel Geld verloren. Verändert hat sich dann nichts.
Fahrradfreundliche Kommune?
Und wie sieht es bei der Kommune aus? Sie ist zuständig für die Parkplätze und die Gemeindebusse. Auch die Ortsplanung liegt in ihrer Verantwortung, dazu gehört die Gestaltung der meisten Straßen und Wege in der Marktgemeinde.
Bürgermeisterin Elisabeth Koch berichtet, dass eine „Intensivierung der Parkplatzbewirtschaftung“ vom Gemeinderat beschlossen worden sei. Das Problem: Das Gemeindegebiet Garmisch-Partenkirchen umfasst über 200 Quadratkilometer. Die Verwaltung und Kontrolle der Parkplätze ist schwer zu stemmen.
Es gibt auch die Idee, man könne mehr Parkplätze in Garmisch-Partenkirchen schaffen und die Autos zeitiger abfangen. Die Besucher könnten von dort aus mit Bus und Bahn zu den Ausflugszielen fahren. Elisabeth Koch spricht sich strikt dagegen aus: „Wir versiegeln nur noch mehr Flächen.“ Tatsächlich ist es fraglich, ob der Ausbau von Parkplätzen das richtige Signal ist. Parkplätze, die noch zusätzlich verwaltet werden müssen.
Und wie sollen wir das Fahrradfahren fördern? Als Durchgangsort ist Garmisch-Partenkirchen besonders stark vom Pkw-Verkehr betroffen. Zusätzliche Radwege gestalten sich schwierig. Gibt es ein Konzept von der Kommune, das diese Herausforderung angeht? Zu einem fahrradfreundlichen Garmisch-Partenkirchen äußert sich die Bürgermeisterin zaghaft: „Solange wir so viele Baustellen haben, können wir nichts tun.“
Stimmen aus dem Landtag
„Es passiert tatsächlich zu wenig“, kritisiert Florian Streibl, Landtagsabgeordneter von den Freien Wählern, den mangelnden Fortschritt. „Kommunen, Landkreis, Land und Bund müssen zusammenarbeiten, um eine gemeinsame Lösung zu finden.“ CSU-Landtagsabgeordneter Harald Kühn verteidigt die Regierung: Es seien bereits erhebliche Investitionen in die Werdenfelsbahn getätigt worden. Auch die Straßenbauprojekte würden voran getrieben. Als wirkungsvolle Maßnahme gegen das Verkehrschaos gibt er „konstruktive Gespräche und Initiativen“ an. Konkret wird er nicht.
Deutliche Worte hingegen findet Andreas Krahl, Landtagsabgeordneter der Grünen: „Es steht außer Frage: Ein zweigleisiger Bahnausbau nach Garmisch-Partenkirchen, beziehungsweise Mittenwald, muss her.“ Lokal würde man sich dafür stark einsetzen. Erst vor kurzem wurde im Kreistag einstimmig eine Resolution beschlossen, auf den zweigleisigen Bahnausbau bei Bund und Land zu drängen. Die Grünen möchten diese Resolution dem Landtag als Antrag vorlegen. Woran es bislang scheitert? „Am fehlenden politischen Willen. Der Bund ist nicht bereit, genug in das Bahnnetz zu investieren. Er setzt weiterhin auf die Straße.“
Es braucht eine große Vision
Bund und Land spielen Ping Pong mit der Zuständigkeit. Investiert wird nur, wo es sich wirtschaftlich lohnt. Gleise werden erst ausgebaut, wenn die Fahrgastzahlen steigen. Nach einem politischen Willen sieht das nicht aus.
Bei der Verkehrswende geht es nicht nur um die Umstellung auf Bus, Bahn, Rad oder alternative Antriebe. Sie betrifft bei weitem nicht nur den Tourismus. Es geht um den Umgang mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen – die starke Zuwanderung in Ballungsräume wie München zum Beispiel. Die Verkehrswende ist eine immense Herausforderung, die mit Halbherzigkeit nicht zu stemmen ist.
Statt Unsummen an Steuergeldern in Machbarkeitsstudien zu versenken, muss der Staat Flagge zeigen und bedingungslos in nachhaltige Verkehrsmittel investieren, als öffentliche Leistung für die Allgemeinheit. Es braucht eine große Vision, die Kommunen, Regionen, ja sogar die europäischen Länder verbindet. Ein funktionierendes öffentliches Verkehrsnetz, das unser Miteinander gesünder und lebenswerter macht.
Veröffentlicht in: Kreisbote, 26. August 2020