85 Jahre lang existierte das Traditionsgeschäft Betten Strüwer in Garmisch-Partenkirchen. Nun wird es geschlossen. Mit ihm verschwindet ein Ort der Begegnungen. Zwischen Menschen und verschiedenen Zeiten.
Garmisch-Partenkirchen — Marianne Amann, nächstes Jahr 80 Jahre alt, steht leicht gebückt hinter dem Tresen. Ihre Augen leuchten – durch den Mundschutz fällt das Strahlen besonders auf. Diesen Ausdruck tragen nur Menschen mit viel Lebenserfahrung. Menschen, die wirklich etwas zu erzählen haben.
Es sind die letzten Wochen, die Marianne Amann in ihrem Bettenwarenladen verbringt. Ende des Jahres schließt das Traditionsgeschäft. Altersbedingt musste sie diese Entscheidung treffen. Mit Betten Strüwer verschwindet ein seltenes Zeugnis der Vergangenheit. Wie ein letzter Abschied von einer längst vergangenen Zeit.
Dass ich gezwungen war, jeden Tag mit den Kunden in Kontakt zu sein, hat mir sehr gut getan.
Seit 85 Jahren gehen hier Menschen ein und aus. Sie kommen nicht nur, um Daunendecken zu kaufen, sie bleiben auf einen Ratsch. Und erzählen Geschichten. Es sind diese vielen Begegnungen, die Marianne Amann als besonders wertvoll empfindet: „Ich bin eigentlich eine Einzelgängerin. Dass ich hier gezwungen war, jeden Tag mit den Kunden in Kontakt zu sein, hat mir sehr gut getan“, reflektiert sie.
Betten Strüwer ist einer der Läden, von denen man denkt, dass es sie eigentlich nicht mehr geben kann. Wenn man das Geschäft betritt, mutet es erst etwas unscheinbar an. Ein kleiner, schmaler Verkaufsraum, Daunendecken hängen zur Ansicht an Bügeln, an den Wänden Ölgemälde – düstere Blumenstillleben. Sie stammen von Mariannes Stiefvater, der im Alter schwermütig wurde, wie sie erklärt. Schließlich wird man einen gewissen surrealen Eindruck nicht los. Es ist, als befände man sich in einer anderen Zeit. Als die Welt noch eine ganz andere war.
Als Waren noch liebevoll von Hand produziert wurden
Eine Welt, in der es noch Einzelhandelsgeschäfte mit Werkstatt und hauseigener Produktion gab. Als die Waren in Einzelstücken liebevoll von Hand hergestellt wurden – zu bezahlbaren Preisen. „Uns war es immer ganz besonders wichtig, auch Kunden mit schmalem Geldbeutel gute Waren anzubieten“, betont Marianne Amann.
1952 wurde das Geschäft in der Klammstraße eröffnet – Mariannes Stiefvater Richard Strüwer heiratete ihre verwitwete Mutter Edith Weck. Er schuf mit dem Geschäft, das er bereits seit 1935 an einem anderen Ort betrieb, eine solide Existenzgrundlage für seine Familie.
Der Laden lief gut, nicht nur bei Einheimischen waren die Produkte äußerst beliebt. 40 Pakete wöchentlich lieferten die Strüwers nach Amerika. Bei den Soldaten und vor allem deren Frauen hatte sich schnell herumgesprochen, dass es sich um hochwertige Qualitätsware handelte.
Keine Zeit für Ölmalerei
Über der Tür zum Nebenraum hängt ein Aquarell. Darauf zu sehen ein See in den Alpen, raue Felsen im Vordergrund, geduldig in feinen Farbnuancen dargestellt. Marianne studierte Malerei und Grafik, blieb aber nur im Privaten künstlerisch tätig. „Sonntags male ich. Aber nicht in Öl, das dauert zu lange, bis es trocknet“, erzählt sie. „Ich hatte immer sehr wenig Zeit, weil ich viel gearbeitet habe.“
1996, während der europäischen Wirtschaftskrise, musste ihre Mutter vier Näherinnen entlassen. Die Arbeit übernahm Marianne. Seitdem beginnt ihr Tag um 6.00 Uhr in der Werkstatt. Um 9.00 Uhr öffnet sie den Laden. „Dann brauche ich irgendwann ein zweites Frühstück, das verstecke ich, wenn Kunden hereinkommen.“ Sie zwinkert. Diese Frau wirkt kein bisschen schwermütig, scheint dem Abschied in ihrer fröhlichen Art stoisch entgegenzusehen.
Auf dem Weg in die Werkstatt im ersten Stock über dem Laden zum ersten Mal ein Anflug von Zerbrechlichkeit. Im Gespräch fällt Marianne Amanns Alter überhaupt nicht auf. Sie spricht sehr lebendig, ist geistig wach. Doch beim Gehen ist ihre gebückte Haltung deutlich wahrzunehmen. „Altersbedingt kann ich leider nicht mehr so auf den Berg wie früher, aber den halben Wank rauf und runter, das geht immer noch“, antwortet Marianne Amann auf die Frage, welche Pläne sie nun hat. „Außerdem koche und backe ich sehr gerne, das kann ich dann ausgiebig für meinen Sohn tun.“
Ihre Kinder haben beide studiert. Der Sohn ist Informatiker, ihre Tochter Historikerin. Es gibt niemanden, der das Geschäft weiterführen könnte. Doch ohnehin war Marianne Amann die Seele dieses Ladens, ohne sie wäre er kaum denkbar. Alte Zeiten kann man nicht wieder heraufbeschwören. Man kann nur hoffen, dass sie nicht ganz in Vergessenheit geraten.
Veröffentlicht in: Kreisbote, 16.12.2020