Der Konflikt gärt auch zwei Jahre nach dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ weiter. Dabei wissen Landwirte und Umweltschützer: Artenschutz ist wichtig und funktioniert nur gemeinsam.
Landkreis München — Wenn es nach Florian Schelle ginge, hätte es das alles nicht gebraucht. „Zumindest in unserer Gegend wird in der Regel kein Raubbau an der Natur betrieben. Die Menschen schieben die Verantwortung einfach auf die Landwirtschaft“, sagt der Landwirt aus Oberhaching. Zwei Jahre ist es her, dass Hunderttausende Bayern mit ihrer Unterschrift dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ zum Erfolg verhalfen.
Viele Landwirte haben sich durch das Volksbegehren angegriffen gefühlt. Und der Ärger ist auch heute, nach zwei Jahren, noch spürbar. Damals stimmten 18,3 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Bayern für eine Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes, die strengeren Auflagen trafen zum Großteil die Landwirte.
Welche Folgen das Volksbegehren bislang für die landwirtschaftlichen Betriebe hat, lässt sich nicht pauschal beantworten. Schelle etwa züchtet Pferde. Auf seinem Hof werde ohnehin schonend gewirtschaftet. „Wir haben nur Grünland. Weil ich Pferde habe, mähe ich sehr spät, denn sie brauchen mageres Heu. Bei uns fallen die neuen Auflagen nicht ins Gewicht.“
Ein stark umstrittener Punkt des neuen Gesetzes war und ist die Vorgabe, dass ab 2020 zehn Prozent der bayerischen Grünlandflächen erst nach dem 15. Juni gemäht werden dürfen. Die blühenden Wiesen stehen so den Insekten länger zur Verfügung, Wiesenbrüter und Rehkitze werden geschützt. Für Bio-Landwirtin Veronika Eichler ist der späte Mähzeitpunkt nicht praktikabel. Sie führt mit ihrem Mann Markus zusammen einen Milchviehbetrieb in Aying, den Behamhof.
Ihre Kühe brauchen für die Milchproduktion sehr nährstoffreiches Futter. Je später sie mähen, desto weniger Energie enthält das Heu, weil dann die nährstoffarmen Stängel den größeren Anteil ausmachen. „Gerade wir Biobauern sind auf das Heu stark angewiesen, da wir versuchen, möglichst wenig Kraftfutter zuzufüttern“, erklärt die Bäuerin.
Fehlendes Wissen bei den Verbrauchern
Zwar gebe es bei einigen Auflagen Ausnahmeregelungen, doch diese seien mit viel Aufwand verbunden: „Die Bürokratie hat durch das Änderungsgesetz noch einmal stark zugenommen.“ Auch sie als Biobäuerin fühlt sich durch das Volksbegehren angegriffen und nicht richtig verstanden. Bei vielen Verbrauchern fehle das Wissen um die Zusammenhänge. Das merke sie an den Fragen, die ihr die Kunden im Hofladen stellen. „Aber das kann man niemandem vorwerfen. Wir Landwirte haben versäumt, unsere Arbeit zu erklären“, gibt sie zu und findet: Der Bayerische Bauernverband sollte mehr Aufklärungsarbeit leisten.
Aufklärung und Bewusstsein schaffen, darin sieht auch Michael Stark von den Stadtgütern München die Chance. Er verwaltet vier biologisch bewirtschaftete Güter im Norden und Osten von München. Das Gut Riem wird aktuell zum „Lernort Biobauernhof“ ausgebaut. „Dort können Schulklassen und Erwachsenengruppen dann mit anpacken und erfahren, was das Arbeiten in der Landwirtschaft bedeutet“, kündigt Stark an.
Seit dem Volksbegehren habe die bürgerliche Teilnahme zugenommen, das sei deutlich zu spüren. Doch leider auch das Konfliktpotenzial. „Statt Fragen zu stellen, kommen die Menschen häufig mit Vorwürfen auf uns zu, ohne den Hintergrund zu verstehen. Zum Beispiel sind sie sauer, weil wir die Wiesen mähen. Wenn die Wiesen nicht gemäht werden, verbuschen und verfilzen sie“, erklärt der Experte. Die Landschaftspflege sei notwendig für den Artenschutz.
Mehr Kooperation gewünscht
Auf der anderen Seite würden manche Landwirte auf stur stellen, selbst wenn es um leicht umsetzbare Maßnahmen gehe. Ein Beispiel sei das Mähen von innen nach außen, eine weitere Vorschrift des geänderten Naturschutzgesetzes. „Ich sehe kein einziges Argument, das nicht zu tun, und wir können damit das Wild schützen. Die Rehkitze können rechtzeitig flüchten“, sagt Stark. Doch einige Landwirte würden sich über diese Vorschrift beschweren.
Er bedauert, dass im Münchner Speckgürtel nach wie vor viel im industriellen Stil angebaut wird. „Das kann nicht die Zukunft sein. Der Flächendruck ist massiv. Es muss um Qualität gehen statt um Masse.“
Das Konfliktpotenzial wächst
Die Viehhaltung ist im Landkreis stark zurückgegangen. Das erschwere den Zuwachs im Ökolandbau, sagt Anton Stürzer, der Kreisobmann im Bayerischen Bauernverband (BBV). Ein wichtiges Ziel, das in Folge des Volksbegehrens festgelegt wurde: 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Bayern sollen bis 2030 ökologisch bewirtschaftet werden. Aktuell liegt der Anteil bei rund zwölf Prozent.
Im Landkreis sei der Zuwachs bei den Ökobetrieben langsamer als andernorts, sagt Stürzer. Das liege daran, dass kaum Rinder gehalten werden. „Wenn man nicht künstlich düngt, braucht man den Stallmist und die Gülle als Dünger.“ Rund um München sei man stark auf Pferdehaltung übergegangen, der Pferdemist sei als Dünger jedoch nicht geeignet.
Ob es Betriebe gibt, die als Folge des Volksbegehrens aufgehört haben, kann Stürzer nicht sagen. Doch die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe gehe weiter zurück. „Der Weltmarkt ist das Problem, mit Lebensmitteln aus China können wir nicht mithalten.“ Stürzer ist der Meinung, regionale Qualität müsse viel stärker vermarktet werden. Der Verbraucher sei an der Reihe, diese zu würdigen: „Leider geben die Deutschen zu wenig Geld für Lebensmittel aus.“
Der Weltmarkt ist das Problem, mit Lebensmitteln aus China können wir nicht mithalten.
Kristin Mansmann, Imkerin im Stadtgebiet und in Fischbachau, ist auf einem kleinen Hof aufgewachsen. Dort habe sie gelernt, wie eine gesunde, vielseitige Landwirtschaft aussieht. Sie sträubt sich gegen das häufig vom Bauernverband angeführte Argument, dass Weltmarkt und Wettbewerb nichts anderes als Wachstum zuließen. „Der Landwirt ist ein selbständiger Unternehmer, der seine Entscheidungen frei treffen muss. Ich kann nicht nachvollziehen, dass sich so viele Landwirte beschweren, denn schließlich machen sie selbst mit. Sie folgen dem BBV, der eigentlich ihre Interessen vertreten sollte, dies aber nicht angemessen tut.“
Der Landwirt ist ein selbstständiger Unternehmer und muss seine Entscheidungen frei treffen.
In ihren Augen sollten sich die landwirtschaftlichen Betriebe zu Genossenschaften zusammen tun und eigene Vermarktungswege finden, denn auch die Biobranche drohe unter denselben Marktstrukturen zu leiden.
Die Sorgen der Landwirte kann Sandra Wagner, Vorsitzende der Ortsgruppe Kirchheim im Landesverband für Vogelschutz (LBV), durchaus verstehen: „Die Landwirte werden schnell an den Pranger gestellt.“ Sie nehme wahr, dass sich viele sehr bemühen. „Ich sehe in unserer Gegend viele Blühstreifen. Das hat in den letzten Jahren stark zugenommen.“
Nicht alle Landwirte machen freiwillig mit
Doch nicht alle Landwirte würden freiwillig mitmachen. „Es gibt eben auch solche, die ein sehr traditionelles Verständnis haben. Da herrscht die Einstellung, dass das Land vorrangig für die Nutzung da ist.“ Daher sei das Volksbegehren wichtig gewesen. Die Diplom-Biologin und Biologielehrerin stellt ein verstärktes Interesse in der Bevölkerung für das Thema Artenschutz fest: „Unsere Arbeit hat nach dem Volksbegehren viel mehr Aufmerksamkeit erfahren. Die Corona-Pandemie hat das verstärkt. Aber den Anstoß hat meiner Meinung nach das Volksbegehren gegeben.“
Es geht nur gemeinsam
Das Volksbegehren hat den schon lange währenden Interessenskonflikt zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz in die öffentliche Debatte gerückt – auf mehr oder weniger fruchtbare Art. Bei der Frage, was den Artenschutz wirklich weiterbringt, sind sich jedoch alle Befragten einig: Miteinander reden. Gemeinsam an Kompromissen und Lösungen arbeiten.
Unabhängig davon, wie zielführend die Einzelmaßnahmen sind, hat das Volksbegehren zum Nachdenken angeregt. „Wir kommen nur weiter, wenn sich jeder selbst fragt, was er für den Artenschutz tun kann“, findet Landwirt Florian Schelle. Er ziehe etwa gefällte Bäume mit seinen Rössern aus dem Wald und verzichte auf große Maschinen. Das trage zur Waldverjüngung bei. Sein Wunsch an alle Naturliebhaber: „Es wäre schön, wenn die Spaziergänger auf den Wegen bleiben und nicht kreuz und quer durch die Landschaft laufen. Oder die Gartenbesitzer mehr Unordnung zulassen.“ So könne jeder seinen Beitrag leisten. „Nicht nur wir Landwirte.“
Veröffentlicht in: Süddeutsche Zeitung, 13.03.2021