Als Antwort auf die Wegwerfgesellschaft tun sich immer mehr Menschen zusammen und gründen Repair-Cafés. Die Reparatur-Bewegung entstand in Deutschland bereits vor über zehn Jahren und wächst stetig weiter. Nun beginnt die Politik, darauf zu reagieren. Das EU-Recht auf Reparatur wurde in diesem Jahr beschlosssen.
Acht Menschen sitzen an einem großen Tisch, der fast den gesamten, etwa 20 Quadratmeter großen Raum ausfüllt. Die Kaffeemaschine in der Kochnische schweigt, am Tisch ist reges Treiben. Für Kaffee ist heute im Repair Cafe am Gasteig keine Zeit. Hier helfen Ehrenamtliche zwei Stunden in der Woche ratlosen Konsumenten, ihre Elektrogeräte zu reparieren: Ein Wasserkocher, eine Stereoanlage und ein Fiebermessgerät werden auseinandergenommen. In kleinen Gruppen wird analysiert und repariert. In zweiter Reihe warten jüngere und ältere Menschen stehend mit ihren defekten Geräten unter dem Arm.
Drei Tüftler beugen sich über eine Platine, eine Schreibtischlampe ist direkt auf das Objekt ihres Interesses gerichtet. Sie suchen den Fehler und wirken dabei so, als würden sie ein wichtiges Geheimnis hüten. Dabei ist es schon lange kein Geheimnis mehr, wo der Fehler in unserem marktwirtschaftlichen System liegt. Jährlich verbraucht jeder Deutsche durchschnittlich 16 Tonnen Rohstoffe, wie das Umweltbundesamt im Ressourcenbericht 2022 veröffentlicht hat. Laut dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie sind es sogar 28 Tonnen. Rohstoffe, die zum größten Teil begrenzt sind. Hinzu kommen die Umweltschäden durch Produktion, Rohstoffgewinnung und Entsorgung. Um den Ressourcenverbrauch auf ein Niveau zu reduzieren, das umweltverträglich ist, dürfte jeder Mensch maximal acht Tonnen pro Jahr verbrauchen.
Raus aus der Ohnmacht – rein ins Handeln
Das Problem haben sehr viele Menschen erkannt und wollen etwas verändern. Initiativen wie das Repair Cafe am Gasteig sind sehr viel mehr als Tüftler- und Bastlertreffs, obwohl sie diese natürlich magnetisch anziehen. Sie sind Teil einer bürgerlichen Bewegung, die in Deutschland vor zehn Jahren an Fahrt aufgenommen hat und seitdem stetig gewachsen ist. „Die ersten Initiativen haben sich aus Trotz gegründet, sie wollten der Wegwerfgesellschaft etwas entgegensetzen. Nachdem die Politik nichts unternahm, wollten sie es selbst in die Hand nehmen“, erzählt Tom Hansing, Verantwortlicher für das Netzwerk Reparatur-Initiativen. „Was diese Menschen im Kleinen tun, ist hoch politisch.“
Hansing hat die Entwicklung der Bewegung in Deutschland von Anfang an miterlebt. Das Netzwerk Reparatur-Initiativen wurde 2014 von der Münchner anstiftung gegründet. Es erleichtert den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Initiativen in ganz Deutschland und unterstützt Menschen, die selbst eine Initiative gründen möchten. Zur Gründungszeit des Netzwerks gab es in Deutschland etwa 40 Reparatur-Initiativen, heute sind es über 1500. Immer mehr Menschen treffen sich regelmäßig, um Kleider zu flicken, Fahrräder zu reparieren, Elektrogeräte zu reparieren und Möbel zu renovieren. In der Stadt wie auf dem Land. Sie teilen ihr Können und ihre Werkzeuge miteinander. Sie lernen voneinander und haben das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.
Was diese Menschen im Kleinen tun, ist hochpolitisch.
Vielen von ihnen geht es so wie Wolfgang Koerfer: „Für mich ist klar: Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit passen nicht zusammen“, sagt er, „aber erklär mal den Leuten, dass wir uns alle zurücknehmen müssen.“ Der pensionierte Elektroingenieur ist 69 Jahre alt und seit zwei Jahren mehrmals die Woche ehrenamtlich in verschiedenen Repair-Cafes tätig. Fast jeden Dienstag sitzt er in dem kleinen Raum am Gasteig und repariert. „Ich kann das jedem Rentner nur empfehlen, ich gewinne so viel daraus: Sinnhaftigkeit, Freude und Gemeinschaft.“ Was ihm besonders gut gefällt: „Wir arbeiten alle als Team zusammen. Es gibt hier keine Konkurrenz wie im Arbeitsleben.“
Recht auf Reparatur
Klar: Teamgeist, Zusammenhalt und Sinnhaftigkeit sind wichtige Bestandteile von bürgerlichen Gemeinschaftsprojekten. Aber die Wirkung der Repair-Initiativen reicht weit über ihre Nachbarschaft hinaus. Die Politik beginnt, zu reagieren. Dieses Jahr hat die EU das Recht auf Reparatur beschlossen. Der Bund stellt zudem einen Fördertopf in Höhe von mehr als drei Millionen Euro für Reparaturinitiativen zur Verfügung. Was diese Menschen im Kleinen tun, strahlt auf die Gesellschaft aus. Sie reparieren nicht nur ihre Alltagsgegenstände, sie versuchen auch eine Politik zu reparieren, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wird.
Das tun sie, indem sie zeigen, wie es anders gehen könnte. Sie zeigen aber auch, wo das Reparieren aktuell an seine Grenzen stößt: zugeklebte Gehäuse, die man nur öffnen kann, indem man sie zerstört, das fehlende Angebot von Ersatzteilen und Informationen, die ständige Neuentwicklung von Produkten, die nicht kompatibel mit den Bauteilen alter Modelle sind. Die Wegwerfgesellschaft ist im marktwirtschaftlichen Sinne erwünscht, denn nur so werden immer wieder neue Produkte erworben. Um das zu ändern, ist es die Aufgabe der Politik, einzugreifen. Im Recht auf Reparatur der EU werden erste Schritte in diese Richtung geplant. Unter anderem sollen die Produzenten von gängigen Haushaltsgegenständen verpflichtet werden, Reparaturen günstig anzubieten, Ersatzteile und Reparaturinformationen zur Verfügung zu stellen.
Der Kampf um bezahlte Stellen
„Das sind erste kleine Erfolge, aber wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns“, sagt Andreas Kopp, Organisator des Repair Cafes am Gasteig. Seine Brille hat er auf die Stirn geschoben, während er im Internet recherchiert. Seine Haare sind etwas zerzaust und er trägt einen Dreitage-Bart. Die Woche hat bei ihm mindestens sechzig Arbeitsstunden, etwa 20 bis 30 Stunden davon unbezahlt. „Aktuell können die Reparaturinitiativen 3000 Euro für Anschaffungen und Raummieten beantragen. Das ist natürlich schon eine große Hilfe. Aber die vielen Arbeitsstunden, die wir für die Organisation aufwenden, werden hier nicht berücksichtigt.“ Seiner Meinung nach müssten bezahlte Stellen her. Zahlreiche Förderanträge hat Kopp schon bei der Stadt gestellt. Erfolgreich war er schließlich beim Referat für Arbeit und Wirtschaft. Dieses fördert allerdings nicht das Repair Cafe, sondern ein weiteres Projekt von ihm.
An Schulen und in Jugendzentren wird jungen Menschen beigebracht, welche Schrauben- und Schlüsseltypen es gibt, wie eine Nähmaschine funktioniert und wie man die Stromstärke misst. Das Projekt MachsGanz zielt darauf ab, junge Menschen für das Thema Reparatur und Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Es soll ihnen auch erste Einblicke in verschiedene Handwerksberufe zu geben. Nur durch diese Förderung und weitere Projekte wie die Werkzeugbibliothek kann Kopp sein Repair Cafe am Gasteig querfinanzieren. „Wir fühlen uns von der Politik nicht gesehen“, sagt er. Seine Vision für die Zukunft: „In jedem Stadtteil müsste es Repair-Initiativen geben und in jeder Stadt Hauptamtliche, die sich um die Koordinierung der Initiativen kümmern. Wir sind ein wichtiger Teil der städtischen Kultur.“ Kopp will weiterhin darum kämpfen, dass die Stadt das endlich erkennt.
Wir sind ein wichtiger Teil der städtischen Kultur.
Wer etwas zu Reparieren hat oder seine Reparatur-Kenntnisse einbringen möchte, der kann auf der Internetseite https://www.reparatur-initiativen.de/ eine Initiative in der Nähe suchen und Termine herausfinden. Dort gibt es auch viele kostenlose Materialien und Informationen rund um das Thema Gründung und Betrieb einer Reparatur-Initiative.
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